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Vorratsdatenspeicherung Ade?

08.04.2014
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Noch am gestrigen Abend forderte einer der obersten Polizisten der Nation in einer Talk-Show, so wie in der Antike der römische Senator Cato jede seiner Reden mit der Forderung eines Krieges zur Zerstörung von Karthago beendete*, die schnellstmöglichste Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung – jenes „unerläßliche Ermittlungswerkzeug, dessen Fehlen die Verfolgung vieler Straftaten unmöglich macht…“

Das wird nach dem heutigen Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EUGH) nicht mehr so einfach. Der EUGH hat heute die gesamte Richtlinie 2006/24/EG (Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie) für ungültig erklärt. Das Urteil ist gemäß Artikel 91 Abs. 1 der EUGH-Verfahrensordnung mit der heutigen Verkündung rechtskräftig. Eine weitere Überprüfung findet nicht statt. Massgebend für die Entscheidung des Gerichtshofes war die Unverhältnismäßigkeit der Vorratsdatenspeicherung, gemessen am Prüfungsmaßstab der Artikel 7 (Grundrecht auf Privatheit) und Artikel 8 (Grundrecht auf Datenschutz) der Charta der Grundrechte der EU. Ähnlich dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2010 – 1 BvR 256/08 u.a. – BVerfGE 125, 260 zu den deutschen Umsetzungsvorschriften der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie im TKG, geht auch der EUGH nicht davon aus, dass jegliche Vorratsdatenspeicherung mit den Grundrechten der EU unvereinbar sein könnte. Lediglich die vorliegende Richtlinie ist unverhältnismäßig und daher unwirksam.

Dies hat Folgen für die deutsche Diskussion zur Vorratsdatenspeicherung. Die Richtlinie ist unwirksam, sie kann als Grundlage für eine Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung nicht dienen. Ein deutsches Gesetz ist aufgrund einer EU-Regelung erst möglich, wenn eine neue EU-Richtlinie erlassen würde, die sodann die Vorgaben des EUGH zur Verhältnismäßigkeit einzuhalten hätte.

Unabhängig davon könnte der deutsche Gesetzgeber allerdings unter Beachtung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im vorerwähnten Urteil vom 2. März 2010 die Vorratsdatenspeicherung als allein deutsche Regelung einführen. Allerdings hätte der deutsche Gesetzgeber hierbei nicht nur die deutschen verfassungsrechtlichen Vorgaben zu beachten, sondern auch die Regelungen der Art. 7 und 8 der Charta der Grundrechte der EU. Die Vorratsdatenspeicherung betrifft nämlich zwei Rechtsgebiete, die durch Verordnungen der EU geregelt sind, das Telekommunikationsrecht und den Verkehr elektronischer Daten. Ist ein Rechtsgebiet aber durch EU-Recht hinreichend bestimmt geregelt, so sind auch die Vorschriften der EU-Grundrechtecharta, die eigentlich nur für das Verhältnis der EU-Bürger zu den Behörden der EU gelten, unmittelbar in Deutschland anwendbar und von den deutschen Gerichten zu beachten (vgl.: EuGH [Große Kammer], Urt. v. 26. 2. 2013 – C-617/10[Åklagare/Hans Åkerberg Fransson]).

Der deutsche Gesetzgeber hätte also die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts zu einer verhältnismäßigen Ausgestaltung einer Vorratsdatenspeicherung aus dem o.g. Urteil vom 2. März 2010 zu beachten und zugleich die Erwägungen des EUGH im heutigen Urteil in den verbundenen Rechtssachen C-293/12 und C-594/12, vgl. dort Rn. 51 – 67.

Die Vorratsdatenspeicherung hat wie kaum ein anderes politisches Thema in den letzten Jahren dazu gedient, politische Schaukämpfe zu veranstalten. Es ist zu befürchten, dass dies auch nach dem Urteil des EUGH nicht aufhören wird, sondern jetzt vielmehr eine verschärfte Auseiandersetzung darüber stattfinden wird, wie eine „richtige“ grundrechtekonforme Vorratsdatenspeicherung aussehen könnte. Die Auseinandersetzung über dieses, nicht nur für die Netzgemeinde sondern jeden Bürger so wichtige Thema, wird also weitergehen. Würde sie sachlich geführt, so würde sich auch die Frage stellen: „Brauchen wir dieses Ermittlungsinstrument wirklich?“ Immerhin, so sei an eine Formulierung des Bundesverfassungsgerichts erinnert: „Dass die Freiheitswahrnehmung der Bürger nicht total erfasst und registriert werden darf, gehört zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland…“ BVerfG aaO Rn. 218, http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20100302_1bvr025608.html

Meinhard Starositk, Berlin, den 08.04.2014

* Der römische Senator Marcus Porcius Cato (234 bis 149 v.u.Z.) forderte im römischen Senat die völlige Zerstörung des konkurrierenden nordafrikanischen Reiches von Karthago. Ihm wurde folgender Satz in jeder seiner Reden im römischen Senat zugeschrieben: „Ceterum autem censeo Carthaginem esse delendam „ (Im übrigen fordere ich wiederum, dass Karthago zersört werden muss.)

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