Aktuelles

Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung

22.06.2010
Aktuelles >>

Die Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung

Das Gericht hat Grundsätze zur Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten aufgestellt, die allgemeine Bedeutung für Datensammlungen vergleichbarer Tragweite (d.h. Schwere, Dauer und Streubreite des Eingriffs) haben.

I. Bewertung des Eingriffs
Das Bundesverfassungsgericht bewertet die gesetzliche Anordnung der Vorratsdatenspeicherung als besonders gewichtigen Grundrechtseingriff. Dies wird aus der Anlasslosigkeit des Eingriffs, der  Dauer der Datenspeicherung, der Streubreite des Eingriffs und der weitreichenden Aussagekraft der Daten abgeleitet.

II. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Zulässigkeit des Grundrechtseingriffs.
Gemessen am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist ein solcher Eingriff nur zulässig, wenn er mit hinreichend anspruchsvollen und normenklaren Regelungen hinsichtlich Datensicherheit, Datenverwendung, Transparenz und des Rechtsschutzes verbunden ist.
a. Das Niveau der Datensicherheit bei der Speicherung und Verwendung der Daten muss einem besonders hohen Standard entsprechen und höher sein als die Sicherheitsanforderungen an die Speicherung von Telekommunikationsdaten allgemein. Dazu muss gewährleistet sein, dass der gesetzlich vorgeschriebene Sicherheitsstandard sich am Entwicklungsstand der Fachdiskussion ausrichtet und fortlaufend neue Erkenntnisse aufnimmt, also eine permanente Überprüfung der Angemessenheit des Sicherungsniveaus vorsieht. Das Gericht hält beispielhaft folgende Maßnahmen für gegenwärtig nahe liegend:
i. Getrennte Speicherung der Vorratsdaten
ii. Anspruchsvolle Verschlüsselung
iii. Gesichertes Zugriffsregime
iv. Revisionssichere Protokollierung
v. Transparente Kontrolle unter Einbeziehung des Datenschutzbeauftragten
vi. Ausgeglichenes Sanktionensystem bei Verstößen
b. Abruf und Nutzung der Vorratsdaten unterliegen besonders hohen Anforderungen und dürfen nur dem Schutz überragend wichtiger Rechtsgüter dienen. Das bedeutet im einzelnen
i. Für die Strafverfolgung, dass ein durch bestimmte Tatsachen begründeter Verdacht einer schweren Straftat, die im auch im Einzelfall schwer wiegen muss, vorliegt;
ii. Für die polizeiliche Gefahrenabwehr und die Nachrichtendienste, dass die Daten zur Abwehr einer Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder die Sicherheit des Staates oder zur Abwehr einer gemeinen Gefahr benötigt werden. Hierbei muss der Gesetzgeber tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für die geschützten Rechtsgüter verlangen.
iii. Es muss ein enger Kreis von Telekommunikationsverbindungen definiert werden, über die gar keine Daten übermittelt werden dürfen, z.b. Krisentelefone.
c. Die gesetzlichen Vorraussetzungen für die Gewährleistung der Datensicherheit, die Speicherung selbst und für die Verwendung der Daten sind vom Bundesgesetzgeber unmittelbar zu treffen. Regelungen über den Datenabruf sowie die Transparenz- und Rechtsschutzbestimmungen darf der Gesetzgeber anderen Gesetzen überlassen.
III. Verfassungsrechtliche Gesamtschau von Datensammlungen
Das Bundesverfassungsgericht stellt in seiner Entscheidung deutlich klar, dass staatliche Eingriffe durch Datensammlungen nicht nur im Einzelfall der jeweiligen gesetzlichen Regelung, sondern auch im Gesamtzusammenhang anderweitiger Datensammlungen gesehen werden müssen. Das Gericht führt aus, die Vorratsdatenspeicherung dürfe „… auch nicht im Zusammenspiel mit anderen vorhandenen Dateien zur Rekonstruierbarkeit praktisch aller Aktivitäten der Bürger führen.“ (S. 59) Die Einführung der Vorratsdatenspeicherung zwinge den Gesetzgeber „bei der Erwägung neuer Speicherungspflichten oder -berechtigungen in Blick auf die Gesamtheit der verschiedenen schon vorhandenen Datensammlungen zu größerer Zurückhaltung.“ (S. 59)

Das Gericht hält es ferner für die Rechtfertigungsfähigkeit einer Datensammlung wie der Vorratsdatenspeicherung für besonders wichtig, dass die Speicherung durch Private und nicht durch den Staat unmittelbar erfolgt.

„Dass die Freiheitswahrnehmung der Bürger nicht total erfasst und registriert werden darf, gehört zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland…“ (S. 59)

Back