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EUGH kippt auch die deutsche Vorratsdatenspeicherung

13.01.2017
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Mit seinem heute veröffentlichten Urteil hat der EuGH die Grenzen festgelegt, in denen die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union auf nationaler Ebene Regelungen der Vorratsdatenspeicherung erlassen können. Dabei geht der Gerichtshof davon aus, dass im Bereich der Telekommunikation unmittelbar europäisches Recht gilt, mithin auch die europäische Grundrechtecharta.

Diese Grenzen definiert das Gericht in Randnummern 108 – 111 des Urteils wie folgt:

1. Bekämpfung schwerer Straftaten

2. Beschränkung der Speicherung auf das absolut Notwendige

a) hinsichtlich der Kategorien der zu speichernden Daten,

b) der erfassten Kommunikationsmittel,

c) der betroffenen Personen und

d) der vorgesehenen Dauer

3. Beschränkung auf Personen, deren Daten einen unmittelbaren oder zumindest mittelbaren Zusammenhang mit schweren Straftaten haben

4. Beschränkung der Situationen, in denen eine Vorratsdatenspeicherung zulässig ist, z.B. eine geografische Beschränkung.

Die unter 2 c), 3. und 4. dargelegten Beschränkungen werden von der deutschen Regelung der Vorratsdatenspeicherung nicht erfüllt. Ferner ist die Auskunft über IP-Adressen nicht auf Fälle schwerer Kriminalität beschränkt. Die deutsche Regelung hat vor den Einschränkungen des EuGH-Urteils keinen Bestand.

Das Urteil des EuGH erging auf Vorlage eines schwedischen und eines englischen Gerichts. Es enthält allerdings allgemeine Ausführungen zu den europarechtlichen Grenzen nationaler Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung und ist deshalb auch von Bedeutung für die anhängigen Verfassungsbeschwerden gegen die deutschen Regelungen für Vorratsdatenspeicherung. Ich habe in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren 1 BvR 2683/16 die Vorschriften der §§ 113b Absatz 1-4 und 8 sowie 113c TKG angegriffen. Die Regelungen dieser Vorschriften halten sich nicht an die oben dargelegten Grenzen.

Insbesondere ist keine Begrenzung des betroffenen Personenkreises vorhanden und es sind keine weiteren Einschränkungen z.B. in Sinne von zeitlich begrenzten Regelungen oder solchen, die auf bestimmte Gebiete beschränkt sind, vorgesehen.

Die Speicherung von IP-Adressen ist sogar zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten oder Verstößen gegen die öffentliche Ordnung zulässig. Gemessen an den oben dargestellten Maßstäben des EuGH sind die deutschen Vorschriften also europarechtswidrig.

Mit der Verfassungsbeschwerde 1 BvR 2683/16 wurde sowohl die Verletzung des Art. 10 GG (Telekommunikationsgeheimnis) als auch der Meinungsäußerungs-und Pressefreiheit – Art. 5 GG – gerügt. Der EuGH hat festgestellt, dass die Speicherung des Telekommunikationsverhaltens nicht nur die europarechtlichen Grundrechte aus Art. 7 und 8 der EU Grundrechte Charta verletzt, sondern auch des Art. 11 der Grundrechte Charta, die Meinungsäußerungsfreiheit.

Meines Erachtens kann das Bundesverfassungsgericht auf zwei Wegen zur Beurteilung der Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Vorschriften des TKG kommen.

1. Das Bundesverfassungsgericht könnte feststellen, dass die §§ 113b Absatz 1-4 und 8 sowie 113c TKG europarechtswidrig sind und damit nicht zur verfassungsmäßigen Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland gehören,
2. das Bundesverfassungsgericht könnte allerdings auch feststellen, dass die Schranken des Art. 10 GG mit den oben dargestellten Schranken übereinstimmen, die der EuGH aufgestellt hat und somit zur Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Vorschriften des TKG kommen. Ich hoffe, dass das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung noch treffen kann, bevor die Vorratsdatenspeicherung für die Telekommunikationsanbieter wieder verpflichtend wird, dem 1. Juli 2017.

Berlin, den 21. Dezember 2016 Meinhard Starostik

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