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Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung II

24.02.2012
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Die Beschwerde wurde 2005 eingereicht und von mir anwaltlich vertreten, Aktenzeichen 1 BvR 1299/05. Sie richtete sich gegen die §§ 95 und 111 bis 113 TKG. Hiernach müssen bei Abschluss eines Mobilfunk- oder Festnetzvertrages oder Einrichtung einer Mailbox für Emails Name, Anschrift und Geburtsdatum des Inhabers angegeben und vom Telekommunkationsunternehmen gespeichert werden.

Diese Daten können dann in einem automatisierten Verfahren von der Bundesnetzagentur den Sicherheitsbehörden zur Verfügung gestellt werden, § 112 TKG.

Darüberhinaus verpflichtet § 113 TKG die Telekommunkationsunternehmen und auch kleinere Anbieter wie Krankenhäuser oder Hotels zur Einzelauskunft gegenüber allen Behörden.

In einem weiteren Schritt erlaubt § 113 Abs. 1 S. 2 TKG auch die Auskunft über PIN, PUK und Mailboxpasswort.

Gegen beide Regelungen des § 113 hatte das Gericht erhebliche Bedenken, und erklärt Satz 2 der Vorschrift ausdrücklich für verfassungswidrig (Auskunft über PIN PUK und Passwort), hat dem Gesetzgeber aber eine Übergangsfrist bis zum 30. Juni 2013 eingeräumt.

Die Einschränkung der ausufernden staatlichen Möglichkeiten, die Bürger zu überwachen, ist zu begrüßen. Allerdings hält das Gericht die - angeblichen - Sicherheitsanforderungen der staatlichen Behörden für so gewichtig, dass es weiterhin die Erhebung und Speicherung von und Auskunftserteilung über die persönlichen Daten von Telefon- und Mailboxinhabern grundsätzlich erlaubt.

Die Beschwerdeführer planen, ihr Begehren, weiterhin anonym kommunizieren zu können, nunmehr bei dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte weiterzuverfolgen.

Besonders begrüßenswert ist an der Entscheidung, dass das Bundesverfassungsgericht sich mit der -künftigen - besonderen Schutzwürdigkeit von statischen IP-Adressen auseinandersetzt. Das Gericht erkennt an, dass IP-Adressen ein erhöhtes Informationspotential haben und "...die generelle Möglichkeit der Identifizierung von IP-Adressen nur unter engeren Grenzen verfassungsrechtlich zulässig..." wäre. (mit Hinweis auf: BVerfGE 125, 260ff.. <343f. 356 ff.>) Das Gericht weist an dieser Stelle seiner Entscheidung auch auf die Beobachtungs- und Nachbesserungpflicht des Gesetzgebers hin. (vgl. BVerg. Beschl. vom 24.01.2012, S. 43). Das Gericht leitet das besondere Schutzbedürfnis daraus her, dass bei einer größeren Verbreitung von statischen IP-Adressen damit auch Kommunikatiosnvorgänge im Internet dauerhaft Deanonymisiert werden können. Von dieser größeren Verbreitung sei insbesondere bei Einführung von IPV6 auszugehen.

Zu der Auslegung des § 113 Abs. 1 TKG durch das Bundesverfassungsgericht ist folgendes zu erläutern:

Nach § 113 Abs. 1 S. 1 TKG sind alle geschäftsmäßigen Anbieter von Telekommunikationsdiensten zur Auskunftserteilung der nach §§ 111 und 95 TKG bei Ihnen gespeicherten Daten verpflichtet. Zu diesem Personenkreis gehören z.B. auch Hotels oder Krankenhäuser, deren TK-Anlage ein Patient nutzt. Da es hier um die Auskunftspflicht von Privatpersonen handelt, hat das Gericht die Auslegung des Gesetzes eingeschränkt. Der Datenabruf ist nur erlaubt, wenn in einem weiteren Gesetz nach Zweck und Anlaß des Abrufs klar die Auskunftspflicht geregelt wird. § 113 Abs. 1 S.1 TKG alleine reicht also nicht dazu aus, den Datenabruf durch eine Behörde zu rechtfertigen. (vgl. BVerfG aaO, S. 46) Allgemeine Vorschriften, die Behörden zur Datenerhebung berechtigen, reichen hierfür nicht aus, z.B. § 8 Abs. 1 Bundesverfassungsschutzgesetz, § 21 Abs. 1 Bundespolizeigesetz. (vgl. BVerfG aaO, S. 47)

Ferner hat  das Gericht den Abruf von dynamischen IP-Adressen auf der Grundlage von § 113 Abs. 1 Satz 1 TKG ausdrücklich ausgeschlossen. Wegen der größeren Persönlichkeitsrelevanz dieser Daten hält das Gericht eine hinreichend klare Entscheidung des Gesetzgebers für erforderlich, ob überhaupt und unter welchen Voraussetzungen die Identifizierung von dynamischen IP-Adressen möglich sein soll. § 113 Abs. 1 Satz 1 TKG enthält eine solche klare Entscheidung nicht. (vgl. BVerfG aaO S. 48)

PIN, PUK und Passwort sollen nach § 113 Abs. 1 Satz 2 TKG an Behörden herausgegeben werden. Das ist ein verfassungswidriger Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, weil das Gesetz den Eingriff unverhältnismäßig weit regelt.

Das Gericht will die Auskunft über diese Daten nur dann zulassen, wenn die Ermittlungsbehörden sie auch konkret nutzen dürfen. Die Voraussetzungen hierfür hat das Gericht unter anderem in seiner Entscheidung zur Zulässigkeit der Wohnungsdurchsuchung und Beschlagnahme von Daten auf einem Mobiltelefon (BVerfGE 115, 166 <193ff.> dargelegt. Insbesondere sollen nach Auffassung des Gerichtes die §§ 94 ff. StPO eine ausreichende Eingriffsgrundlage sein. Eine besondere Eingriffssperre, z.B. durch Beschränkung auf den Verdacht besonders schwerer Straftaten, hält das Gericht nicht für erforderlich. (BVerfG aaO.)

§ 113 Abs. 1 Satz 2 TKG darf bis zum 30.06.2013 weiter angewendet werden, wenn die vorstehenden Voraussetzungen für die Nutzung von PIN, PUK, Passwort vorliegen.

§ 113 Abs. 1 Satz 1 TKG darf gleichfalls bis zum 30.06.2013 angewendet werden. Als Eingriffsvoraussetzung reichen die allgemeinen Datenerhebungsbefugnisse der Behörden. Auch die Erhebung von IP-Adressen ist in der Übergangszeit zulässig. (vgl. BVerfG aaO, S. 53)

Die Leitsätze des Gerichts finden Sie hier,
den ganzen Text des Beschlusses hier.
M. Starostik


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